Kunst und Computer

von Jan Helge Folkerts & Christian Hauschke

Übersicht


Allgemein

Unter Computerkunst versteht man üblicherweise eine künstlerische Technik, mit deren Hilfe sich Bilder von Computern und speziellen, meist vom Künstler selbst entwickelten Programmen entwerfen, modifizieren und produzieren lassen. Um dieses zu realisieren, muß die Möglichkeit bestehen, die auf irgendeine Art entstandenen Bilder elektronisch zu speichern und eventuell Veränderungen an ihnen vornehmen zu können. Weiterhin sollten sie natürlich auf einem Datei-Sichtgerät (Monitor, Drucker, Plotter) darstellbar sein. In der Computerkunst bildeten sich früh zwei Fraktionen heraus.

Die erste stützt sich auf den Konstruktivismus, die Künstler bemühen sich um einen systematischen und logischen Weg bei der Bilderstellung. Allerdings wird häufig Gebrauch vom Zufallsgenerator gemacht, um die Werke mit einem zusätzlichen Element der Spannung zu versehen. Oft folgt der Erstellung der Bilder am Computer die Umsetzung in konventionelle Malerei, Zeichnung oder Skulptur.

Die zweite Fraktion versucht, Existierendes zu simulieren, die entsprechenden Künstler handeln also realitätsabbildend oder sogar -erzeugend. Fast immer wird schon die Bildschirmausgabe des Werkes als Kunstwerk angesehen, auch, weil häufig Animationen mit eingeschlossen sind.

 

Die Anfänge

Die Anfänge der Computerkunst liegen sicherlich in verfremdeten wissenschaftlichen Darstellungen, wie sie z.B. Franz Roh in seinem Buch "foto- auge"(1930) präsentiert hat. Dort stellte er erstmals Aufnahmen aus der medizinischen Diagnostik, der Astronomie und anderer wissenschaftlicher Disziplinen als ästhetische Gegenstände dar. Da die übergeordnete Zielsetzung bei der Erstellung dieser Bilder die wissenschaftliche Erkenntnis war, mußte hier wie in der Computerkunst erst ein Umdenken erfolgen, um diese Werke als Kunstwerke zu betrachten. Im Grunde haben aber schon Künstler wie M.C. Escher oder sogar Albrecht Dürer die Entwicklung vorweggenommen, da sie Graphiken zeichneten, die nur durch mathematische Regeln bestimmt sind. Ob sie dann vom Menschen oder vom Computer ausgeführt werden, ist zweitrangig. In diesen Kontext paßt hervorragend, daß die ersten bei Ausstellungen und Wettbewerben gezeigten Graphiken ursprünglich ohne jegliche künstlerische Ambitionen entstanden sind, beispielsweise Darstellungen elektrischer Felder oder auch menschliche Figuren, die zum Studium ergonomischer Situationen erstellt wurden.

Die 50er

Die erste große Initiative, welche die Erzeugung von Computerkunst als solcher zum Ziel hatte, wurde 1950 von Ben F. Laposky begründet. Seine Arbeit beruhte auf der Überlagerung von elektronischen Schwingungen verschiedener Art, z.B. Sinusschwingungen, Sägezahnkurven u.ä., die dann von ihm modifiziert wurden. Er nannte die erzeugten Gebilde "oscillons" oder "electronic abstractions". Diese Art der Graphik wurde 1959 durch Herbert W. Franke in Europa bekanntgemacht, der ähnlich erstellte Werke im Wiener Museum für angewandte Kunst ausstellte. 1958 hielt die computergenerierte Graphik Einzug in das Gebrauchsdesign; in diesem Jahr schrieb A.P. Rich von der John Hopkins Univesity ein Programm zur Erzeugung von Wellenmustern für Textilien. Ähnliche Programme wurden auch für den Entwurf von Teppichen und Tapeten entwickelt.

Die 60er

1960 begann Kurd Alsleben und Cord Passow mit ihrer Arbeit an zeichnerischen Ausdrucken von Differentialgleichungen. Sie benutzten hierzu noch Analogsysteme und mechanische Zeichenanlagen.

Eine große Wende vollzog sich im Jahr 1963, als die Zeitschrift "Computers and Automation" zum ersten Mal einen Wettbewerb für computergraphische Arbeiten ausschrieb und die eingesandten Werke ausschließlich nach ästhetischen Gesichtspunkten bewertete. Die Teilnehmerzahl war zuerst noch sehr gering, doch befanden sich darunter die ersten an digitalen Großrechnern entstandenen Graphiken.

Frieder Nake gewann diesen Wettbewerb 1965, dasselbe Jahr, in dem er zusammen mit Georg Nees eine Ausstellung in Niedlichs Galerie (Stuttgart) organisierte. Nake gehörte lange Zeit zu den wegweisenden Künstlern im Bereich der Computerkunst. Georg Nees dagegen hatte sich schon vorher dadurch hervorgetan, die erste Ausstellung zu organisieren, in der ausschließlich computergenerierte Werke gezeigt wurden.

Auch in den USA kam es 1965 zur ersten Ausstellung von Digitalgraphiken (Howard Wise Gallery (New York), nur wenige Wochen nach der Ausstellung Nees an der Technischen Hochschule (heute Universität) Stuttgart. Mitte der 60er wurde auch der Terminus "computer graphics" geprägt, und zwar von William A. Fetter, der diesen Begriff gebrauchte, um die ersten figürlichen Computergraphiken überhaupt zu bezeichnen. Es handelte sich hierbei um Arbeiten für die Boeing Company. Fetter entwickelte ein Modell des Menschen, mit dem sich alle anatomisch möglichen Körperstellungen darstellen ließen. Dieses Modell wurde gebraucht, um die von der Firma Boeing hergestellten Flugzeugcockpits möglichst ergonomisch zu gestalten.

1967 gestalteten Charles Csuri (Professor an der School of Art) und James Shaffer (Programmierer, beide an der Ohio State University) von Realfiguren ausgehende Graphiken. Besonders bekannt ist das von ihnen erstellte Bild "Sinus Curve Man", das beim Wettbewerb der Zeitschrift "Computers and Automation" den ersten Preis gewann (1967). Sie schufen ein männliches Gesicht mit Hilfe von Sinuskurvendarstellungen. Durch diese Arbeitsweise lenkten Csuri und Shaffer die öffentliche Aufmerksamkeit auch auf die Fülle von Möglichkeiten, die der Computer in Zukunft bieten würde, z.B. Abstraktionen, schrittweiser Aufbau von Graphiken oder auch Picture Processing.

Die Weltöffentlichkeit gewann aber erst Interesse an der Computerkunst, als Max Bense die Ausstellung "Cybernetic Serendipity" (London, 1968) ins Leben rief. Hier wurde zum ersten Mal versucht, einen Überblick über die verschiedenen Strömungen der Computerkunst zu schaffen. So waren die Pioniere der computergenerierten Graphik ebenso vertreten wie Aufführungen von Musik und Filmen, das Ganze umrahmt von einem reichhaltigen Vortragsangebot. Auch Käthe Schröders vom Goethe-Institut präsentierte Ausstellung "Computerkunst - On The Eve Of Tomorrow" (Hannover, 1969) schloß zahlreiche Diskussionen mit ein. Überhaupt wurden Computerkunstausstellungen in viel größerem Maße mit

Diskussionen und Vorträgen verbunden, als das bei konventionellen Ausstellungen der Fall war. Wahrscheinlich hatte die Computerkunst anfänglich noch große Schwierigkeiten, sich in der öffentlichen Wahrnehmung von ihren wissenschaftlichen Wurzeln zu trennen, und die Protagonisten verspürten daher einen größeren Rechtfertigungsdrang.

Einen guten Einblick Ende der 60er Jahre beschreibt John Landsdown über die Herstellung eines Computerfilms: "Das Equipment konnte nur Strichzeichnungen bewältigen, und das zumeist auf dem Plotter. Und weil jeder Frame solange Rechenzeit hatte - und pro Sekunde des fertigen Filmes brauchte man 25 Frames-, konnten wir uns oft die Zeit nicht leisten, kleinere Fehler durch Neuberechnungen zu korrigieren, weshalb wir auch manchmal fehlerhafte Linien von Hand nachzeichneten. Die Zeichnungen wurden unter einer Kamera dann einzeln positiv oder negativ abgefilmt, vielleicht noch mit mehreren verschiedenen Filtern, um etwas Farbe in die einfachsten Formen zu bringen. Wenn wir mit einer Filmkamera direkt vom Bildschirm abfilmten, so hieß dies, Tag und Nacht in einem dunklen Raum zu sitzen und jedesmal die Kamera auszulösen, wenn endlich wieder ein fertiger Frame erschien." Eine wesentliche Verbesserung brachte die Entwicklung des elektronischen Displays. Die Bilder konnten von nun an schnell sichtbar gemacht werden, was für eine Nachbesserung von erheblichem zeitlichen Vorteil ist. Erste Formen der Interaktion zwischen dem Künstler und dem Computer wurden möglich.

Die 70er

1970 entstand unter Mitwirkung spanischer Konstruktivisten eine mit einem Seminar verbundene Ausstellung "Generación automática de formas plásticas". Diese Zusammenarbeit zwischen Künstlern und den Informatikern des Instituts wurde noch einige Zeit hindurch fortgesetzt. Kunst/ Technik- Initiativen zur Bemühung der Zusammenführung von Künstlern und Mathematikern wurden 1971 auch in Südamerika verzeichnet. Waldemar Cordeiro organisierte in Sao Paulo die Ausstellung "Arteónica", zu einer ähnlichen Präsentation von computergenerierten Bildern ("Arte y computadoras") kam es 1973 in Zusammenarbeit mit der University of Minnesota, Minneapolis, im Rahmen der ersten ICCH (International Conference on Computing in the Humanities).

Ein beachtlicher Beitrag zur Computerkunst kam auch aus Frankreich, wo mehrere internationale Veranstaltungen stattfanden, wie z.B. 1973 die < Computergraphik- Show "Ordinateur et Création Artistique". Ein Jahr darauf wurde in Angers die "Art et Informatique"- Ausstellung und Vorführung computergenerierter Filme- veranstaltet. Vom schwedischen Kulturzentrum veranstaltet und mit Ausstellungen verbunden waren auch einige Seminare in Paris, 1977 "L’ordinateur et les arts visuels", 1978 "Arts et Informatique", 1979 "Artiste et Ordinateur". Die besten Gelegenheiten zur Präsentation von Computergraphiken fanden bei wissenschaftlichen Kongressen statt, insbesondere solcher der Informatik. 1979 fand unter Beteiligung zahlreicher mit dem Computer arbeitender Graphiker und Musiker die erste "Ars Electronica" in Linz, Öserreich, statt. Diese Veranstaltung findet alle zwei Jahre statt. Trotz vieler der Computerkunst gewidmeter Veranstaltungen in Europa liegt der Schwerpunkt der Entwicklung nach wie vor in den USA. Zu den bedeutesten Ausstellungen der letzten Jahre der 70er gehören:

- 1978: Art of the Space Era (Museum Of Art, Huntsville, Alabama)

- 1978: Arts and the Computer (Worcester Art Museum, Worcester, Massachusetts)

- 1978: Computer Generated Art Exhibit (Old Dominion University, Norfolk, Virginia)

- 1979: Cybernetic Symbiosis (Lawrence Hall Of Science, Berkeley, Californien)

- 1980: Art In/ Art Out (Ukrainian Institute of Modern Art, Chicago, Illinois)

Die 80er

1981 organisierte Peter Beyls das "International Festival voor Elektronische Muziek, Video en Computer Art" in Brüssel: 14 Tage lang wurde eine groß angelegte Übersicht über den heutigen Stand computerunterstützter Kunst gegeben.

1983 wurde die Arbeitsgruppe an der Gesamthochschule Kassel "Design- Kunst- Computer" gegründet, wo Hochschullehrer zusammen mit Studenten die Rolle der Computertechnologien in den künstlerischen Bereichen experimentell erkunden.

Auch auf der Bühne hat Computerkunst Einzug gehalten. Die Computertechnologie hat für den Kunstbereich Bühne zwei verschiedenartige Auswirkungen. Zum einen wird die Inszenierung durch den Computereinsatz perfektioniert. Beispiele sind eine rechnergesteuerte Lichtanlage oder die computerunterstützte Ausbildung der Darsteller. Zum anderen bietet der Computer die Möglichkeiten für neuartige Inszenierungen. Nicht nur die o. a. Gestaltung des Bühnenbildes ist dafür ein Beispiel. So zeigte der Holländer

Michael Waisvisz 1981 beim Holland Festival ein musikalisches Theaterstück, das ausschließlich von Robotern gespielt wurde. Ein anderes Beispiel ist das Stück TITANIC vom italienischen Medienkünstler Fabrizio Plessi (Gestalter der Bühneninszenierung) " TITANIC will in seinen barocken, technoiden, babarischen, unverfeinerten Szenen und Choreographien den heutigen Niedergang großer Ideologien schildern, an deren Stelle eine Medien- und Kommunikationsgesellschaft getreten ist, die alles mit allem verbindet, ohne Wertung und Orientierung, in deren informativer Flut wir unsere Menschlichkeit täglich neu bestimmen müssen."

Die 90er

Die Computertechnologie hat in vielen Kunstbereichen Einzug gehalten. Seine Nutzung ist nicht nur darauf beschränkt, dem Künstler bei seiner Arbeit zu unterstützen, so daß sie schneller, kostengünstiger und effektiver durchgeführt werden kann. Bedeutender sind die neuen innovativen Möglichkeiten, die der Computer dem Künstler zur Verfügung stellt.

So haben sich z.B. neue Möglichkeiten zum Thema "Verfremdung" (s. a. Picture Processing) hervorgetan: Um die Verfremdung eines Bildes zu erzielen, kann ein Künstler auf umfangreiche Tools. in seinem Zeichen- bzw. Malprogramm zurückgreifen. In vielen Grafikprogrammen besteht zusätzlich die Möglichkeit, eigene Routinen. für die Bildverfremdung zu programmieren. Diese können dann als Zusatzmodul in das Programm implementiert werden. Die Bandbreite der Verfremdungsarten ist sehr umfangreich und wird ständig um neue Möglichkeiten erweitert.

Beispiele dafür kann man z.B. in den Graphiken von Mischa Schaub bewundern. Ein anderer Bereich ist das Zusammenführen von mehreren Bildern zu einer Fotomontage: dies ermöglicht der Rechner durch die Cut & Paste Funktionen. Die große Schwierigkeit bei der Kombination ist, daß neue Bild realitätsnahe erscheinen zu lassen. Die Probleme liegen in der Farbabstimmung, den Lichtverhältnissen, auftretenden Spiegelungen, Perspektiven usw..

M. Schaub z. B. zeigt in einer Graphik eine "glaubwürdige" Fotomontage. Um diese Glaubwürdigkeit zu erzielen, sind komplizierte technische Verfahren eingesetzt worden. Das erzielen weicher Kanten durch die Verwendung von "Featheredges" (gefilterte Kanten), die Deformation einzelner Rastergruppen für die stufenlose Überblendung zweier Bildebenen, der Einsatz von Alphabildern und vieles mehr erfordern vom Künstler umfassende Kenntnisse in der Beschaffenheit und Verarbeitung digitaler Bilder.

Ein wichtiger Teil der Computerkunst der 90er sind Computeranimationen. Computeranimation bedeutet die "Herstellung von dreidimensionalen synthetischen Laufbild-Sequenzen mit Hilfe eines Rechners und geeigneter Programme." (Zitat von Willim, Bernd in CLAUS, S. 147) Diese Definition schließt eine 2D-Animation, die von Computern selbstverständlich ebenfalls generiert werden könnte, nicht mit ein. Daß der

Begriff Computeranimation in der heutigen Sichtweise auf 3D-Animationen beschränkt wird, ist die Konsequenz daraus, daß in den weitaus meisten Animationen eine fotorealistische bzw. realitätsnahe Darstellung angestrebt wird. Die Möglichkeiten der Computeranimation befähigen Berufe mit Kunstorierung (Architekten, Designern, Modeschöpfern) dazu, daß sie ihre Zeichnungen im Bewegungsraum entfalten können. In diesem Zusammenhang spielt die Computeranimation nur eine unterstützende Rolle, die es ermöglicht, Entwürfe realitätsnah darzustellen.

Es ist auch möglich die optischen Fähigkeiten der 3D-Animationen, für die Aufgaben eines Museums zu nutzen. "The Virtual Museum" ist ein dreidimensionales, computergesteuertes Museum. Dieses Museum besteht aus fünf Ausstellungsräumen, die dem architektonischen Charakteristika der Ausstellungsräume im oberösterreichischen Landesmuseum von Linz nachempfunden sind. Dort wurde diese Arbeit von Jeffrey Shaw auch zur Ars Electronica 1992 gezeigt.

Die Tatsache, daß Computergraphik und -animation seit den sechziger Jahren vor allem von Wissenschaftlern und Technikern geschaffen wurde (sie hatten den besseren Zugang zu den Maschinen) hat dazu geführt, daß innovativ ästhetische Fragen erst in neuerer Zeit an diese Kunstform herangeführt wurden. Aufgrund von fehlenden Kenntnissen in bezug auf die technischen Bedingungen bei Computeranimationen hat auch die professionelle Kritik von Kunsttheoretikern und Kunstkritikern sich erst spät mit der neuen Bildsprache auseinandergesetzt.

Das Internet bietet viele neue Arten und Anzahlen von neuen Möglichkeiten, so auch die Mailboxszene: sie setzt sich ebenfalls mit der Kunst auseinander. Computernetze werden genutzt für die Entwicklung einer neuartigen Kunst. Dabei besteht die Möglichkeit mehrere Personen, die im Netz präsent sind, an einem Kunstwerk gemeinsam und evtl. zeitgleich arbeiten zu lassen. Das Kunstwerk basiert also auf einer Zusammenführung einer Menge von Netzteilnehmer, die gemeinsam am Kunstwerk arbeiten oder ein Teil der Kunst, des künstlerischen Ausdrucks sind.

Roy Ascott, einer der Pioniere auf diesen Gebiet, strebt ein utopisches Gesamtwerk an: "Als Künstler werden wir zunehmend ungeduldig mit den einzelnen Arbeitsmodi im Datenraum. Wir suchen nach Bildsynthese, Klangsynthese, Textsynthese. Wir möchten menschliche und künstliche Bewegung einbeziehen, Umweltdynamik, Transformation des Ambientes, all das in ein nahtloses Ganzes. Wir suchen, kurz gesagt, nach einem Gesamtdatenwerk. Ort der Arbeit an der Handlung für ein solches Werk muß der Planet als Ganzes sein, sein Datenraum, seine elektronische Noosphäre.